Stefan Toth
13.12.2020
Türchen #13 im arcvent(s)kalender 2020
Unter Softwareentwicklern sind auch viele Brettspieler wie ich immer wieder mitbekomme. Ich möchte diesen Advent-Sonntag deshalb nutzen, einige Spiele zu nennen, die mich im letzten Jahr beeindruckt haben und die deshalb potentiell unter den Weihnachtsbaum gehören. Wie bei Brettspielen üblich, ist meine Einschätzung hoch individuell, aber ich kann zumindest beschreiben was ich an den vorgeschlagenen Spielen gut finde – und ihr entscheidet, ob das auch für euch plausibel klingt. Deal?
Lasst uns von komplexeren Spielen zu einfacheren Spielen gehen und zum Schluss habe ich noch ein paar Kurztipps mitgebracht.
Ich bin tatsächlich sehr empfänglich für komplexere Strategiespiele. Terra Mystica ist in meiner persönlichen Hall of Fame und auch Spiele mit ausgedehnter Tischpräsenz (wie Anachronie) schrecken mich nicht ab. Wasserkraft (im Englischen „Barrage“) gehört auch in die komplexere Ecke – es gibt viel zu planen, einiges an Seiteneffekten und das Spiel ist unter 2 Stunden kaum zu spielen. Trotzdem war es lange nicht interessant für mich. Beim Kickstarter gab es Qualitätsschwächen, das Spiel schwamm davor und danach auf einer fast schon unangenehmen Hype-Welle, Reviewer meinten das Spiel sei sehr kompetitiv, gemein und von Ressourcenknappheit gesegnet. Alles Aspekte, die ich nicht so mag. Ich mag es wenn Spiele mir ein gutes Gefühl geben, es Optionen und Sekundärstrategien gibt, und man eher entscheiden muss, welche der tollen Möglichkeiten man nutzen möchte, anstatt sich zu ärgern, dass die eine gute Variante nicht klappt. Trotzdem habe ich Wasserkraft eine Chance gegeben… und war überrascht und angetan zugleich.
Zunächst ist Wasserkraft sehr thematisch. Wir bauen Staudämme in drei Tälern und in jeder der 4 Runden fließen Wassertropfen vom Berg in die Ebene. Mit unseren Dämmen können wir Wasser auffangen, zur Stromgewinnung nutzen und damit auch umleiten. Das so verwendete Wasser steht an anderer Stelle dann wieder zur Verfügung. Nun entbrennt ein Rennen um die besten Stellen für Dämme, Turbinenwerke und zweitverwertende Dämme. In der Praxis ist das hoch-interaktiv, aber nicht so gemein wie angenommen. Es ist ersichtlich wo Wasser aufgefangen wird und wo Gegner es wahrscheinlich hinleiten werden – man kann also gut mit dem kompetitiven Element planen. Und selbst wenn Gegner an einer Stelle bauen die man selbst eingeplant hätte – es gibt genügend alternative Wege die man einschlagen kann.
Was mir wirklich gut gefällt ist, dass die Regeln sehr logisch im Kopf bleiben, das Spiel interaktiv ist, aber die Konfrontation nur dosiert sinnvoll für den Erfolg scheint. In Wasserkraft hat man auch tatsächlich das Gefühl etwas aufzubauen und es sind eigentlich immer genügend Dinge zu tun. Ich hatte das Spiel düsterer und anstrengender vermutet und bin nun nicht nur anderer Meinung, sondern habe immer wieder Lust auf Wasserkraft.
Ihr mögt es wenn Regelhefte etwas dünner ausfallen und ihr trotzdem gefordert werdet? Yukon Airways erfüllt das für mich voll und ganz, ist an den richtigen Stellen innovativ und erzeugt bei den Spielern das Gefühl etwas geleistet zu haben. Dabei bleibt es immer in der „fröhlichen Ecke“.
In Yukon Airways sind wir Eigentümer eines Wasserflugzeugs, und bringen Abenteurer, Jäger und Touristen zu für sie interessanten Orte. Die Orte sind auf einer Landkarte verteilt, sind unterschiedlich weit weg und haben kleine Klötzchen, deren Farbe zeigt für welche Art von Passagier sie interessant sind. Bringt man den richtigen Passagier an einen Ort mit passendem Klötzchen, wird es „verbraucht“ und man kann das eigene Flugzeug verbessern, also z.B. für mehr Reichweite sorgen.
Spannend ist nun die Auswahl der Passagiere. Sie warten zufällig verteilt auf Stegen. Man kann nun immer nur einen Typ von Passagier (also z.B. Jäger) mitnehmen und jeder Steg hat eine Sonderaktion (z.B. mehr Sprit für diese Runde). Darüber hinaus bestimmen die Stege auch die Spielreihenfolge für die folgende Flugphase. Nun entsteht eine ziemlich knifflige Aufgabe: Nehme ich mir viele Passagiere? Oder lieber weniger, aber dafür eine andere Steg-Aktion? Oder nehme ich eine schwache Steg-Aktion, bin dafür aber früh dran wenn ans fliegen geht? Das wäre wichtig, wenn die passenden Klötzchen an den Orten zur Neige gehen zu denen ich fliegen möchte.
Insgesamt ist Yukon Airways ein sehr schönes Spiel mit tollem Material. Es erzeugt trotz der nicht zu komplexen Regeln viele interessante Entscheidungen und hat spannende Momente wenn es ans Fliegen geht. Im Kampf um die Klötzchen auf der Landkarte entsteht ein wenig „Zug um Zug-Flair“, allerdings mit etwas mehr Tiefgang und Entscheidungen. Dabei schafft es das Spiel alles positiv zu belegen. Fast jede Alternative ist gut, die richtig guten Spielzüge machen dann noch extra Freude. Ein tolles Spiel für Gernspieler.
Wenn es schneller gehen soll, oder nach einem langen (remote-)Arbeitstag einfach der Fokus fehlt, braucht man kleinere Spiele die fluffiger daherkommen, aber trotzdem nicht uninteressant sind. Davon gibt es im aktuellen Spielejahrgang einige, herausheben kann ich Big Monster.
In Big Monster draftet man aus Plättchenstapeln Monster, die man vor sich auslegt. Die unterschiedlichen Monstertypen haben unterschiedliche Effekte die zu Punkten führen. Sumpfmonster sind exponentiell mehr wert wenn sie mit anderen Sumpfmonster gemeinsam ausliegen. Eismonster zählen zunächst wenig, wenn sie aber über andere Plättchen mutiert werden, zählen sie mehr. Auf manchen Monstern sind halbe Kristalle abgebildet, die Punkte geben wenn man sie vervollständigt, u.s.w.
Der Draft-Mechanismus macht Big Monster nun unterhaltsam. Wer als Erstes fertig gewählt hat, kann den restlichen Stapel einem Spieler seiner/ihrer Wahl geben. Damit lassen sich zu gute Kombinationen der Mitspieler eventuell verhindern, oder man kann einem Mitspieler helfen. Warum sollte man das tun? Weil es auch einen Team-Modus gibt in dem man in Pärchen gegeneinander antritt. Alles in allem ist Big Monster in 30-45 Minuten gespielt und trotz der einfach wirkenden Mechanik sehr unterhaltsam.
Kleine Spiele, die in 15 Minuten gespielt sind, bezeichnen Amerikaner gerne als „Filler“. Auch hier gibt es spannende Neuankömmlinge.
In Micro Macro versucht man auf einem riesigen Wimmelbild Mordfälle aufzuklären. Dabei werden auf dem großen Plan die gleichen Figuren zu unterschiedlichen Zeiten und bei unterschiedlichen Handlungen gezeigt. Ein erster Hinweis liefert den Ort des Verbrechens, und dann geht es los mit „Ermittlungen“ in denen man Beteiligte und Passanten am Weg zum und vom Tatort beobachten kann. Mit den beigelegten Fragen weiß man genauer wonach man suchen muss, das Spiel funktioniert aber auch gut ohne diese Hilfestellung und in freiem Flug. Ein Fall ist schnell gespielt und es gibt kaum ein Spiel das man in so unterschiedlichen (Alters-)gruppen auf den Tisch bringen kann.
Ein zweiter Tipp ist King of 12. Hier würfelt man ein mal mit einem Zwölfseitigen Würfel und der höhere Wurf gewinnt. Nun kommen jedoch 7 Karten ins Spiel, die den Wurf oder die Zählweise manipulieren können. So zählt vielleicht doch der niedrigste Wurf, oder meine Zahl wird verdoppelt.
Was das Spiel nun unglaublich witzig macht: Sobald ein Würfelwert doppelt vorkommt gilt er gar nicht mehr, sobald mehr als einem Spieler eine bestimmte Karte verwenden möchte, gilt auch diese nicht mehr, und sobald zwei Spieler zum Ende der Runde die gleiche Anzahl an Siegpunkten haben werden sie gestrichen. Nun geht das pokern los. Ich habe den höchsten Würfel, spiele ich trotzdem den „Ritter“ der den niedrigsten Würfel gewinnen lässt? Weil wenn meine Sitznachbarin mit dem niedrigsten Würfel den Ritter spielt würden sich die beiden Ritter aufheben und es würde der höchste Würfelwert gewinnen. Was aber wenn sie sich denkt, dass ich auf diese Weise „verteidigen“ möchte und deshalb gar keinen Ritter spielt? Dann schneide ich mich ins eigene Fleisch…
Dieses „was denken sich wohl die anderen“ und „was denken die wohl dass ich denke“ macht in dieser knackigen Form sehr viel Spaß. Ich habe in letzter Zeit selten so viel gelacht. Man starrt die MitspielerInnen an und versucht ihnen tief in die Seele zu blicken… was natürlich selten gelingt. Die Runden sind durchaus spannend und so schnell vorbei, dass meistens eine Revanche verlangt wird.
Ich hoffe es ist etwas für euch dabei. Tatsächlich hätte ich noch eine längere Liste von Highlights aus diesem Jahr. Statt Big Monster weiß z.B. auch das etwas ältere Spiel Zwischen zwei Schlössern sehr gut zu unterhalten. Neben Condordia war es eine der Entdeckungen dieses Jahres für mich. Die Spiele waren allerdings nur für mich neu, nicht für die Welt. Bei den komplexen Spielen hat mich Dinosaur Island mit 80er Retro-Charme und Neonfarben (inkl. pinker Dinos!) begeistert, allerdings ist das Spiel teuer, oft vergriffen und durchaus polarisierend. Im Filler-Bereich gibt es unendlich viele gute Roll & Write Spiele, bei denen meist gewürfelt und dann auf Blöcken etwas eingetragen wird. Blätterrauschen ist hier sehr fein, Troyes Dice etwas ernster und gemeiner. Und wenn ihr schöne Spiele mögt, die Urlaubsfeeling aufkommen lassen: Schaut euch Parks von Feuerland an. Hier werden in einem recht einfachen, aber kurzweiligen Spiel die Nationalparks der USA besucht. Für die momentane Zeit vielleicht eine gute Abwechslung.